EU führt Corona-Ampel ein
Einheitliche Kriterien für Risikogebiete sollen eine bessere Übersicht über die Corona-Lage in der EU bieten. Eine Ampel weist den Weg - aber auf freiwilliger Basis. Bernd Riegert aus Brüssel.
Um Reisenden in Europa einen besseren Überblick über das Corona-Infektionsgeschehen und mögliche Beschränkungen zu verschaffen, haben die Europaminister der Europäischen Union eine Unterteilung der EU in grüne, orange und rote Zonen beschlossen. Hinzu kommt noch die Farbe grau für Regionen, aus denen nicht genug Daten vorliegen.
Die Europäische Seuchenbehörde (ECDC) in Stockholm wird am Freitag auf Grundlage dieser Kriterien eine Karte der EU in den Ampelfarben ins Internet stellen, um einen Überblick über riskante Infektionsgebiete zu ermöglichen. Sie soll auf der Webseite undefined veröffentlicht werden, die heute bereits alle einzelnen Reiseregelungen der 27 Mitgliedsstaaten anzeigt.
"Schwer zu durchschauen"
Bislang habe jedes EU-Mitgliedsland nach Gutdünken Risikogebiete ausgewiesen. Es sei ein wahrer Flickenteppich entstanden, kritisierte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen.
"Wir haben über die ganze EU verteilt unterschiedliche Farbcodes, Kriterien, Tests und Quarantäne-Bestimmungen. Es ist mittlerweile schwer zu durchschauen, wohin man reisen kann, welche Regeln man bei der Anreise und dann bei der Rückkehr nach Hause befolgen soll. Wir müssen die Maßnahmen koordinieren, um den Europäerinnen und Europäern den Alltag zu erleichtern", sagte von der Leyen.
Auch das für die Politik der Bundesregierung maßgebliche Robert-Koch-Institut wird seine Berechnung der Risikogebiete nun anpassen müssen. Bislang hatte es 50 Neuinfektionen pro 100.000 in sieben Tagen (nicht 14) als Schwellenwert angenommen. Litauen hatte bislang als Schwelle eine Inzidenz von 16 und setzt diese nun auf 50 hoch.
Entscheidend für die Einteilung in Risikogebiete und ungefährliche Regionen sollen künftig zwei Kriterien sein: Die Rate neuer Infektionen (Inzidenz) für 100.000 Bewohner in den vergangenen 14 Tagen und die Quote der positiven Tests aus allen durchgeführten Coronatests.
GRÜN ist ein Gebiet, wenn die Inzidenz unter 25 liegt und die Quote positiver Tests unter vier Prozent.
ORANGE ist ein Gebiet, wenn die Inzidenz unter 50 liegt und die Testquote über vier Prozent, oder die Inzidenz zwischen 25 und 150 liegt, aber die Testquote unter vier Prozent.
ROT ist ein Gebiet dann, wenn die Inzidenz über 50 liegt und die Testquote über vier Prozent. Oder die Inzidenz liegt über 150 pro 100.000 Bewohner in den vergangenen 14 Tagen.
Kritik aus Luxemburg und Österreich
Der luxemburgische Außen- und Europaminister Jean Asselborn kritisierte die Zahl 50 bei Inzidenzen als eine deutsche Erfindung. Dies sei die Zahl, mit der die deutschen Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Infektionsketten umgehen könnten.
Sein Land habe von Anfang an auf umfangreiches Testen gesetzt, ermittle damit alle Fälle und werde dafür als Risikogebiet eingeschätzt. "Wir werden für das Testen bestraft", sagte Jean Asselborn. Deshalb habe Luxemburg die EU-Ampel auch abgelehnt.
Tatsächlich liegt Luxemburg mit über 6000 Tests pro 100.000 Einwohner an der europäischen Spitze. Deutschland befindet sich mit 1300 Tests im Mittelfeld. Bulgarien bildet mit 380 Tests das Schlusslicht.
Die Europaministerin von Österreich kritisierte die neue Ampel ebenfalls. Die Kriterien, die jetzt angelegt werden sollen, seien nicht "treffsicher", bemängelte Karoline Edtstadler. "Wenn man es durchrechnet, sind bereits jetzt die meisten Regionen in Europa rot gefärbt. Und eine Steigerung von Rot gibt es nicht. Wir müssen das Risiko besser einschätzen können und gleichzeitig Reise- und Warenfreiheit aufrecht erhalten." Österreich hat vor allem die Sorge, dass jeglicher Wintertourismus in die Alpen durch das Ausweisen immer neuer Risikogebiete abgewürgt wird.
Halb Europa ist rot
Zurzeit liegen 19 der 27 EU-Staaten über einem Wert von 50 neuen Infektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen 14 Tagen. Zwölf von 27 Staaten melden mehr als vier Prozent positive Testergebnisse.
Deutschland liegt im unteren Drittel der EU-Vergleichsskala mit einer Inzidenzrate von 34 und einer Testquote von 1,4 Prozent. Das ist der landesweite Durchschnitt, der Deutschland in die orange Zone einstufen würde. Anders sieht es aus, wenn man sich Großstädte und Landkreise einzeln ansieht. In der grünen Zone läge nach den neuen Ampel-Kriterien als einziges EU-Land derzeit Finnland.
Die Corona-Ampel der EU ist am Ende lediglich eine Empfehlung. Die Mitgliedsstaaten müssen sich nicht daran halten. Auch die Maßnahmen, die aus der Einteilung in grüne, orange und rote Zonen folgen, bleiben den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen.
Sie können für Reisende Quarantäne- oder Testpflichten erlassen, müssen es aber nicht. Die Corona-Regeln, die innerhalb eines Staates gelten, werden von der EU-Ampel nicht berührt. Die unterschiedlichen Regelungen innerhalb Deutschlands in einzelnen Bundesländern können also fortbestehe.
Regeln macht jedes EU-Land selbst
Ob es beim Ausmaß von Quarantäne, Maskenpflicht, Abstandsgeboten, Alkoholverboten, Beschränkung von Sport, Schulschließungen und anderen Maßnahmen je einheitliche Regeln geben wird, ist unklar. "Es ist ein erster Schritt nach vorne, aber es ist nur ein erster, dem weitere folgen müssen", sagte Michael Roth, der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, zu der neuen Corona-Ampel.
Ungeachtet der Diskussionen in Luxemburg haben Tschechien und die Niederlande neue Beschränkungen verkündet. In Tschechien werden von diesem Mittwoch an wieder Schulen geschlossen. Die niederländische Regierung erlässt ein Verkaufsverbot für Alkohol in den Abendstunden. Restaurants und Bars müssen im ganzen Land schließen.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wandte sich in Brüssel als derzeitige EU-Ratsvorsitzende an die Vertreter der europäischen Städte und Kreise, die im sogenannten "Ausschuss der Regionen" über die Corona-Bekämpfung beraten. Ein weiterer Lockdown müsse vermieden werden, warnte Merkel. "Wir müssen zeigen, dass wir unsere Lektionen gelernt haben und wir müssen die Menschen in Europa bitten, vorsichtig zu sein."